Alles was ich wollte war zu
der jungen Generation zu gehören. Total enge Hosen, T-Shirts mit ganz kurzen Ärmeln und
eine schlaksige Frisur, samstags abends weggehen und tanzen an exotischen Plätzen wie
"Weston-Super Mare". Mir graut wenn ich an diese Zeit denke. Ich bin immer mit
einem kleinen Mädchen verwechselt worden. "Ohh, hat sie nicht schöne Haare!"
oder "ohh was für ein kleines schönes Mädchen!" Das ist nicht so schön, wenn
Du weißt, dass Du ein kleiner Schwuler bist. "Homosein" war in meinen Genen und
ich war an den Hosen der Jungs bevor ich überhaupt das Wort Sexualität buchstabieren
konnte. Es ist merkwürdig wer sich zur Verfügung stellt besonders wenn Du selber nicht
weißt, dass Du dich zur Verfügung stellst. Es ist aber bei den meisten Männern so,
ihnen ist es egal mit wem sie es treiben. Sie kriegen ihren Orgasmus und du bekommst einen
verpasst. Ich hasse die Schule. Dort war das Leben wie die Hölle. Es war eine Zeit damals
als irgendein alter Sadist Lehrer werden konnte. Meine Nichte hat mir gesagt, dass ich
angeblich der einzige berühmte Schüler bin, der nicht in den Schulbüchern steht. Na ja
die Protestanten in Schottland sind nicht sehr berühmt für ihre Toleranz. Ich habe
geschwatzt und keinen Abschluss bekommen. Ich habe Farben und Tapete verkauft, um die
Dauerwelle und auch die Nächte in Satellite-City (dort habe ich die ganze Nacht in
Cowboystiefeln getanzt) zu bezahlen. Es ist ein Wunder, dass ich heute nicht behindert
bin. In schlechte Gesellschaft bin ich dort geraten. Mit Leuten, die sich Freunde nannten.
Mit solchen Freunden braucht man keine Feinde. Ich war damals gutgläubig und naiv. Die
Dinge sind außer Kontrolle geraten und das wollte ich nicht. Über London habe ich
gelesen und davon geträumt. Irgend wohin, nur nicht hier bleiben. Im Sommer ´79 bin ich
hingefahren, eigentlich nur für ein Wochenende. Erster Stopp Earls Court - Wow ! So
viele Männer, ein Rückfahrschein, zwei Tage und so wenig Zeit. Meine Heimat habe ich
dort gefunden- kaufte T-Shirts und blieb. Damit habe ich viele verletzt, aber ich
war selbst verletzt und wütend. Ich war auf der Suche nach der Nummer Eins. Dies war
meine Chance für einen neuen Anfang und herauszufinden wer ich war, den alten Scheiß
hinter mir zu lassen, mir klar zu werden wie ich war und was ich will und brauche.
Natürlich war es nicht so romantisch-einfach. Im Gegensatz zu den Mythen, sind die
Straßen nicht mit Gold gepflastert. Kein Geld, keine Adresse und keine Schuldgefühle.
Keine Angst, mit meinem Babyface bin ich durchgekommen. Ja genau, man muss
das tun, was zu tun ist. Letztendlich bin ich vom Piccadilly, dort wo die
Stricher rumhängen, weg gekommen. Freundlicherweise wurde mir von einem Mann
ein Zimmer bei ihm zuhause zur Verfügung gestellt. Keine Bedingungen,
nichts. Es gibt also noch gute Menschen da draußen, wie du siehst. Wir
waren glücklich. So hatte ich eine Londoner Adresse: NW 5 Hampstead,
immerhin! Bekam Jobs, bei Baumärkten und Einrichtungshäusern und sogar als
Küchenhilfe und Bäckerlehrling. Was da in mich gefahren ist, weiß ich selbst
nicht. Bis 3 Uhr morgens tanzen und dann um 5 Uhr vor den Öfen stehen und
backen - eine schlechte Kombination. Da habe ich wohl ein Brot zu viel
gebacken.
Dann kam eine Zeit, in der ich von Sozialhilfe gelebt habe. Ich habe es
nicht bereut, weil es für mich eine Zeit war, zu wachsen, zu entdecken und
mich hinein zu stürzen. Es ist Sommer `83. Wir besetzten ein Haus neben dem
Britischen Museum. Ich habe immer noch den Geruch der Bäume in der Nase, die
im Hof wuchsen.
Es war eines der Projekte der alternativen Szene. Ich lebte darin mit wunderbaren
Menschen, die einen großen Einfluss auf mich hatten. Linke Szene, wäre eine
Untertreibung gewesen. Und natürlich hatte ich auch das Zeug zu einem kleinen Militanten.
Ob bei den Jungsozialisten der
Labour party oder in der Anti-Nazi-Liga, ich trug mein Herz auf der Zunge und habe nie ein
Blatt vor den Mund genommen.Ich war richtig mittendrin. Ein junger schwuler Mann, der
wütend war und die Welt wieder in Ordnung bringen wollte. Ich glaubte fest daran und
glaube auch immer noch, dass es möglich ist. Freundschaften wurden geschmiedet, von denen
die meisten heute noch existieren. Es ist jetzt Sommer `83 und ich treffe Larry und Steve
durch Jill. Jill war einer dieser Menschen, mit denen ich an einen community-Video
zusammenarbeitete, bei dem ich gesungen habe. Das Video hieß "Framed
Youth". Ich habe mich zu dieser Zeit aber nicht für einen Sänger gehalten. Da
es das erste Mal war, sehe ich es als Gesangsunterricht an. Das Lied, nur begleitet von
einer Drum-Machine, hieß "Screaming". Sie hörten es, sie mochten es.
"das Monster war geboren". Schuld daran war Richard Coles. Er sagte mir,
dass er Synthesizer zuhause hätte und ich war von deren Sound sofort
eingefangen und fasziniert. Das war alles sehr spannend für mich. Ich war plötzlich ein Teil von etwas, das ich
bisher immer nur auf Platten gehört hatte. Giorgio Morodors Welt war in meinen
Fingerspitzen... Bronski Beat war geboren. Das Album "The Age Of Consent" war
ein Soundtrack für isolierte Homos überall. "Smalltown Boy", "Why?",
"Need A Man Blues" keine lyrischen Meilensteine, aber echte und
ehrliche Gefühle für so viele Menschen.Es war alles sehr aufregend und hat sehr viel Spaß
gemacht. Eben habe ich noch von Sozialhilfe gelebt und jetzt waren wir schon auf
Platz 3 in den Charts und auch bei "Top Of The Pops" zu sehen. Die Sendung war
damals eine Institution, eine religiöse Erfahrung. Donnerstags um 19 Uhr, und ich habe es
nur für ein Lächeln getan. Dann ist alles ein bisschen schief gegangen. Das Verständnis
für die Bedürfnisse zu- und untereinander fehlte. Mir wurde klar, dass, wenn wir so
miteinander arbeiten wollen, unsere Freundschaft stärker sein müsste. Das war nicht der
Fall. Außerdem hatten wir die Chance als Vorgruppe auf der Madonna "Like A
Virgin" Tournee zu spielen. Ich allerdings wollte das nicht. Dadurch habe ich die
anderen beiden angepisst, und entschloss mich zu gehen. Meine Entscheidung war nicht
populär, aber es musste sein. Richard Cole habe ich damals ja schon seit der
Zusammenarbeit bei "Framed Youth" gekannt und er hat mich immer
ermutigt und mich auch zum Lachen gebracht. Wer will schon mit einem Typen
rumhängen, der ein rosa Dreieck mitten auf seinem Kopf hat.
Er hat mich auch mal bei einer Prügelei mit "maggies boot boys" (Polizisten der Thatcher-Zeit) während des
Bergarbeiterstreikes beschützt. Bei diesen Abenteuern wurden die
"Communards" geboren. Der Name stammt aus der Zeit des
deutsch-französischen Krieges, als in Paris eine Kommune gegründet wurde.
Diese war unser Vorbild. Freiheit und Selbstbestimmung sollten ein Recht und
kein Privileg sein. Wir glaubten damals an die Menschenrechte und tun dies
immer noch...
Die Communards hatten damals eine wirklich einzigartige Live-Bühnenformation: drei
Schwuchteln und sieben Hetero-Frauen. Ich kann wirklich sagen, das dies die lustigsten
Bühnenshows waren, die ich bis jetzt erlebt habe. 3 Jahre, 2 Alben und ständige
Tourneen, dadurch hatte sich eine treue Fangemeinde entwickelt. Unser Erfolg hielt sich
aber erst mal in Grenzen, bis "Don`t Leave Me This Way" kam. Damit waren wir am
Ziel. Ein wichtiger Song für mich war damals "For A Friend", geschrieben im
Gedenken an einen unserer Freunde, der an AIDS starb. Mark war der erste Mensch, der
Richard und mir nahe stand, der an AIDS starb. Richard und ich waren entschlossen den
Kampf gegen AIDS ins Popgeschäft zu tragen.
Niemand hatte dies bisher getan. Wir
waren schockiert und ängstlich.
Musik muss ein politisches
Anliegen haben. Ich würde sagen, wir haben unsere Sache gut gemacht. Wenn es am
besten ist, soll man aufhören, so sagten wir eines Tages. Jetzt ist `89, und ich bin
wieder auf dem Weg. Dies ist die Solo-Zeit. "Read My Lips" wurde in einer Zeit
intensiven politischen Engagements geschaffen, und zurückdenkend war es auch eine Periode
der Trauer. Während dieser Zeit habe ich viele Leute gekannt, die krank wurden oder
gestorben sind. Ich war erschrocken und ängstlich. Die "Act Up"
Campagne wurde von der Frustration und schrecklichen Gleichgültigkeit,
die HIV und AIDS umgaben, hervorgebracht. Ich selbst und eine
Gruppe andere Leute entschieden, dass es an der Zeit ist, etwas dagegen
zu tun. Direkte Aktionen und ziviler Ungehorsam schienen der einzig
mögliche Weg. Wir fühlten, das vielen Leuten ihre Grundrechte versagt wurden. Es gab
immer noch so viel Diskriminierung und Hysterie. Desinformation war verbreitet. Es wurde
viel Scheiße geredet. Wir können aber viel erreichen in unserem kurzen Leben:
Action=Life/Silence=Death. Der Titelsong "Read My Lips" steht für den
Abschluss dieser Periode. Er war ein frischer Wind um die Nasen so vieler Menschen. Mein kurzer
Aufenthalt in San Francisco ist eher von den netten Lesben dort geprägt gewesen, weil ich
mich mit den Männern dort nicht herumschlagen wollte. Stellt euch vor: Ich, betrunken,
stolpere in eine Bar, dichtes Gedränge, und da höre ich in diesem schleppenden Westcoast-Dialekt:
"Verzeihung, Sie dringen wirklich in meine Persönlichkeitssphäre ein ..." Oh
Mann, ich und 2000 andere Homo-Freaks - das war alles zu viel für mich, aber
der Wind hat es verweht. 6 Monate später, nach Europa zurückgekehrt, habe ich die
"Singles Collection" herausgebracht. Mit einem Cover, das das Herz
einer jeden Oma zum Schmelzen gebracht hätte. Zauberhaft, meine rot gemalten
Wangen!
Mit
"To Love Somebody" hat man dann versucht, mich in die Schublade "gereifter
Künstler" zu stecken - na ja, aber es war schon ein großer Hit. Zu dieser Zeit ging
mir London-Records richtig auf den Keks. "Das können wir nicht machen. Das ist zu
viel - zu schwul !" - kriegte ich immer wieder zu hören. Dabei wusste doch die
gesamte nördliche Hemisphäre schon, das ich schwul war, verdammt noch mal. Also
dann noch ein einziges Album bei London-Records; "Dare To Love". Eine Sammlung
großartiger Songs, die, wie ich selbst als Künstler, eine bessere Behandlung
verdient gehabt hätten. Na ja... genug gemeckert! Das war auch eine Periode der
Selbsterkenntnis und auch meine Stimme hatte sich entwickelt. Ich fühlte mich damals mehr
als Sänger als je zuvor. Die Titel des Albums waren auch ein Teil
Vergangenheitsbewältigung für mich. Ich, und nicht nur ich, frage: Was ist das
Verbrechen der Liebe? Wo denn nur? Habe London-Records im Dezember `96
verlassen. Frei! Whow! Bei Gut-Records unterschrieb ich Mai `97. Die letzten zwei Jahre
habe ich geschrieben, getrunken, `rumgesponnen, produziert und eine beinahe glückliche
Partnerschaft gehabt. (Ich bin nämlich zu gierig; will nicht nur ein Stück vom
Kuchen, ich will die ganze Konditorei.) Habe also mehr geschrieben, produziert, getrunken
und gelacht mit meiner Freundin Sally Herbert, mit der ich auch zusammen wohne. Wir beide
haben "Manage The Damage" bei uns zu Hause produziert, und das war ein Luxus! Es
gibt keinen besseren Ort um produktiv und kreativ zu sein, als den Ort, an dem man sich
geborgen fühlt. Man braucht keine dicken Gebühren für überteuerte Studios zu zahlen.
Allerdings mussten die armen Nachbarn tagein, tagaus unter meinen Gesinge leiden. Ein
weiterer Nachteil war, das man so einfach sagen konnte: "Lass uns morgen fertig
machen."Manchmal waren wir faul. Trotzdem haben wir uns dabei unsere
Freiheiten gelassen. Von Leuten, die an uns glaubten, haben wir viel
Unterstützung bekommen. Das Ergebnis; ein Album mit einer richtig schönen
Mischung von Songs. Der erste Song "Here I Am" - ein Song über den Tod,
Gott und einen Ungläubigen, über mich und über was wäre wenn ... Denkt
darüber, was Ihr wollt!
Sehr viele der Songs interpretiere ich immer noch für mich selbst. Aber da ist
"Girl Falling Down", geschrieben, nachdem ich die Geschichte in der Zeitung
gelesen habe. Eine alltägliche Tragödie von einem Mädchen, die aller Chancen
ihres Lebens beraubt wurde. Die Menschen, die Gesellschaft, das System haben sie fallen
lassen. Unter Missbrauch und Gewalt hatte sie zu leiden und konnte sich nicht dagegen
wehren. Das Schlimmste an dieser Geschichte ist, dass sie nicht einmalig ist.
"Lay Down" - ein Song zum Ruhme des Oral-Sex...!!! "Dark Sky" - Worte
der Ablehnung. Ich bin abgelehnt worden; Na und? "My Life", denke
ich, handelt von meinem "Alter Ego" (höheren Ich), das ihr sowieso nicht
kennen wollt. Man kann es öfters in verschieden Erscheinungsformen im Westend (Londoner
Szeneviertel) beobachten. Alles in allem ist es ein Album über Leben und Liebe, und das
ist es doch, worum sich alles dreht. So ist es meine selbst verfasste
"Presseerklärung". So ich weiß, ich habe viel geplappert. Die gepfefferten
Sachen habe ich weggelassen - Sorry! Was soll sonst aus der Jugend werden.
P.S. Ich habe mich meiner Vergangenheit gestellt. Glasgow kann
jetzt wieder lächeln.
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