|
Manchmal muss man ans andere Ende der Welt fahren, um wirklich bei sich selbst anzukommen. Befreit von den Gewöhnlichkeiten seines Alltags fällt es leichter, einen gründlichen Blick
auf das eigene Leben und die eigene Karriere zu werfen. Vielleicht findet man plötzlich sogar heraus, was einem wirklich wichtig ist, Spaß macht und tut das dann einfach. So ging es Jimmy Somerville.
Als der Brite im Sommer 2006 zwei Konzerte in Australien gab, die ganz ohne Synthesizer auskamen, merkte er, wie sehr er diese Art zu musizieren schon immer geliebt hatte. „Schon mit den Communards
und Bronski Beat hatte ich Songs wie „For a friend“ aufgenommen, nur Stimme und Piano, sonst nichts. Und mir fiel in Australien wieder auf, wie viel mehr Kraft einige Songs bekommen, wenn man es einfach hält.“
Jimmy hatte ein bisschen Zeit, fand es schön in Australien, jemand trieb ein gutes Studio auf, das zufällig sechs Tage Leerlauf hatte und schlug Somerville vor, doch in dieser Zeit mit den Musikern mit denen er gerade
aufgetreten war ein paar Songs aufzunehmen, die genauso klangen wie die Konzerte, die er grade gespielt hatte: einfach, aber gut.
„Also setzte ich mich vor meinen i-pod mit seinen 6.000 Songs, habe es auf ‘Shuffle’ geschaltet und hielt immer dann an, wenn mir ein Song in die Hände fiel, den ich mochte. Und den nahmen wir dann auf.“
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass diese Lieder meine absoluten Lieblingslieder sind und wundere mich, dass man so etwas mit 47 beschließen kann. Es gibt so viel Musik, die ich noch nicht gehört habe.
Was Ich aber sagen kann ist, dass mir alle diese Lieder aus verschiedenen Gründen sehr gut gefallen.
Das Ergebnis spricht für sich: „Suddenly Last Summer“ ist eine Sammlung moderner Klassiker geworden, genial interpretiert von Somerville und produziert von Andrew Worboy. Der hat mit „Hey Sydney“ den
Eröffnungssong für die Gay Games in Australien geschrieben und ist eine Größe im Musicaltheater Down Under.
25 Jahre nachdem er mit Bronski Beats „Smalltown Boy“ 1984 seinen ersten Welthit hatte, nach 11 Alben, 7 Millionen verkaufter Tonträger und Tausenden von Konzerten vor Millionen Menschen rund um den Globus,
kehrt Jimmy nun an seine Wurzeln zurück und singt die Songs, mit denen er aufwuchs: Nina Simones „Black is the Colour of my true love's hair“, dessen Text er sinnvoll ergänzt hat, Blondies „Hanging on the telephone“,
„People are strange“ von den Doors und Klassiker wie „My heart belongs to daddy“ und „I just don’t know what to do with myself“.
Somervilles und Worboys einfache Bearbeitung des Materials legt seine Stärken frei. „Mein Ziel war es, die Songs für sich selbst sprechen zu lassen, das Ausgangsmaterial ist so gut, da muss man nicht viel machen, außer
es einfach zu singen.“ Was zweierlei voraus setzt: Das man die Songs in ihrer ursprünglichen Genialität versteht und dann in der Lage ist, sie auch so zu singen. Das ist hier gelungen. „Suddenly Last Summer“ legt deswegen
auch noch ein weiteres Juwel frei: Somervilles Stimme klingt so klar und gut und kann sich mit den verschiedenen Songs so austoben, wie lange nicht mehr. Da singt ein Künstler auf der Höhe seines Könnens und interpretiert
mit all der Intelligenz, dem Mut und der Ironie zu der man mit 47 Jahren eben in der Lage ist.
Wenn Jimmy „Where have all the flowers gone“ singt, bekommt das Lied die ursprüngliche Kraft zurück, die ihm Marlene Dietrich durch ihre Interpretation einmal gegeben hatte. „Das ist einfach der bekannteste Anti-Kriegs Song
aller Zeiten. Und wann hätten wir den nötiger als im Moment?“ erklärt Somerville, warum er das Lied aufgenommen hat
Somerville singt „I just don’t know what to do with myself“, „Hush“, „Hanging
on the telephone“ und „Was that all it was“ als große universelle Liebeslieder
und legt in „My heart belongs to daddy“ und „Walking after midnight“ den
schwulen Subtext frei, ob die Komponisten das im Sinn hatten oder nicht. „My
heart belongs to daddy‘ ist das perfekte Lied für schwule Bären, und ein
schöneres Lied über Cruising als "Walking after Midnight" `kenne
ich nicht.` gibt Jimmy lächelnd zu Protokoll.
„Suddenly Last Summer“ ist zweifelsohne ein weiterer Meilenstein in Jimmy Somervilles Karriere.
|
|